HISTORIE Stadtteile
 

Das „Chinese-Veedel“

In den Jahren 1910 bis 1914 entstanden in Neuehrenfeld die Straßenzüge Iltisstraße, Landmannstrasse, Takustraße und der Takuplatz. Benannt wurden diese nach einer geschichtlichen Begebenheit der Jahre 1900/01: Der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China an der auch die kaiserlich-deutsche Marineinfanterie beteiligt war. Eines der deutschen Kriegsschiffe war das Kanonenboot Iltis unter dem Kommando von Korvettenkapitän Lans, dessen Aufgabe ein Angriff auf die Taku-Forts am Peiho-Fluß war.

Der Volksmund bezeichnete das Viertel um die nach diesem historischen Kriegsakt benannten Straßen in Neuehrenfeld fortan als „Chinese-Veedel“. Dort entstand siebzig Jahre später bei einem ungleich friedlicherem Dämmerschoppen in der Gaststätte Taku-Schänke die Idee zur Gründung der bekannten Karnevalsgesellschaft „Ihrefelder Chinese“.

 

Ehrenfeld 

 

Wachsen und Werden 

CÖLN 1845

Vor zwei Jahren hatte man die Börse aus dem ursprünglichen Rokokobau auf dem Heumarkt in das Tempelhaus in der Rheingasse verlegt und in dem Gebäude ein Caféhaus eingerichtet, das genau der Hauptwache gegenüber lag. 50 Soldaten ziehen jeden Mittag zur Parole auf und 50 Zellen warten auf die Arrestanten. Die Wache am Waidmarkt steht noch und die am Zeughaus wurde wieder instand gesetzt.

Die Poller Milchmädchen bringen die Milch auf Eseln zu den städtischen Kunden. Aus den Schwärmen genießbarer Rheinfische wird der Maifisch als Leckerbissen gefangen und auf dem Markt angeboten. In den Wehrgängen der mittelalterlichen Stadtmauer arbeiten die Seiler.

Das Leben innerhalb der alten Umwallung ist eng. Aber draußen, vor den Toren, auch vor dem Ehrentore, da ist Platz. Weites, unbebautes Feld. Platz zum Arbeiten und Platz zum Wohnen. Und die Fabriken und Werkstätten, die mit heraufkommender Industrialisierung ins Lebensbild treten, brauchen Platz, viel Platz ....und billigen!

 

Klosterreste

Vom Ehrentor aus, an der Kreuzung Friesenwall und Ehrenstraße, mit dem breiten Durchgang für die Fuhrwerke und dem kleineren für die Fußgänger, das die dichtbebaute Ehrenstraße abschließt, dessen zwei Halbtürme sofort in die Stadtmauer übergehen, schweift der Blick hinüber in das ausgeziegelte Feld vor der Stadt, auf dem da und dort Schutt abgeladen ist, bleibt haften an einigen Baumstumpen, die die Bäche begleiten und ruht sich aus am waldbedeckten Vorgebirge. Einfache Landstraßen laufen ins weite Land hinaus: die Kölner Bucht, der Siedlungsraum dieser Stadt am Rhein.

Das Auge muss suchen, wenn es in dieser flachen Landschaft das rote Haus in der Ferne erkennen will, wo man am Sonntag zur Blasmusik die Polonäse tanzt. Links davon liegen die Reste des mittelalterlichen Klosters Sankt Mechtern, das Mechterner Höfchen. Nach der Überlieferung hat hier der Märtyrertod des heiligen Gereon stattgefunden, der mit seinen Gefährten, der Thebäischen Legion in den Tod ging. Ad sanctos martyres (Märtyrer = Mechtern) hieß es eigentlich, und die heutige Mechternstraße mit der zum sechsten Mal erbauten Mechternkirche und die Thebäerstraße oder die Rotehausstraße an der Venloer Straße erinnern an diese Orte.

 

Nur zwei Höfe

Erst bewohnten Mönche das unter Kaiser Barbarossa erbaute Kloster. Nonnen, die es später übernahmen, mussten es 1474 wegen der Abbrucharbeiten zu Beginn des burgundischen Krieges räumen und nach Köln ziehen. Für das Kloster entstand später ein Meierhof und 1820 ließen die Franzosen die wiederrichtete Kirche abreißen. Auf dem erhaltenen Gewölbe entstand später erneut eine neue Mechternkirche.

Außer diesen beiden Höfen, dem Mechternhof und dem Subbelrather Hof, standen noch ein paar kleinere Häuschen in dieser Gegend. Insgesamt wohnten hier 1840 etwa 32 Menschen. Zweiunddreißig! – heute ist diese Gegend, der Stadtteil EHRENFELD, so dicht bewohnt wie eine Großstadt.

30 Menschen, dass war 1840 die Zahl der „Einwohner" in jenem Gebiet, das heute etwa hunderttausend Bürger zählende Ehrenfeld ausmacht. Ganz sprunghaft begann die Entwicklung. Und sie trug dann lange alle Merkmale einer unorganischen Entwicklung.

In die abgeschiedene Stille waren im Januar 1845 die Herren Welter und Breuer, führende Mitglieder einer Baugesellschaft der Stadt Köln erschienen und hatten den Subbelrather Hof gekauft. Von dem Bauer Wahlen, der nicht an eine Genossenschaft verkaufen wollte, erwarben sie privat im 18 Morgen Land, das an der Venloer Straße lag.

Sofort teilte man das Gelände auf, ja, die Gesellschaft (die ursprünglich als Gegengründung gegen diejenigen Kölner Baugesellschaften gedacht war, welche seit 1830 die Preise für den knappen Baugrund in der Stadt in schwindelnde Höhe trieben) legte selbst die Wege an. Dreizehn Quadratruten, das sind 187,2 Quadratmeter, kosteten 68 Reichstaler. Dieser Preis konnte in wöchentlichen Raten zu je 15 Silbergroschen, das wären etwa 1,80 DM, abgezahlt werden.

Bei diesen niedrigen Bodenpreisen fanden sich bald reichlich Interessanten. Es waren nicht nur Fabrikarbeiter, sondern auch Handwerker, Landwirte und Gewerbetreibende. Ja, 1845 bereits eröffnete Philipp Hoffmann die erste Tapetenfabrik in dieser neuen Stadtgründung. An diesen Unternehmer erinnert noch die Philippstraße. Ein Jahr später wurden schon 218 Einwohner gezählt.

Und der Name für diese neue Stadt? Der bot sich doch ganz natürlich an! Es war das Feld, das vor dem Ehrentor lag, also das Ehrenfeld.

 

Acht öffentliche Gaslampen....

Die stehensgebliebenen Lehmbänke wurden in eigener Regie zu Ziegeln gebrannt und sofort beim Häuserbau in Ehrenfeld verwendet. Ein Mühlenbetrieb folgte, und 1860 zog auch die englische Gasgesellschaft aus der Stadt nach Ehrenfeld. 1867 hatte sie für acht öffentliche Gaslampen laut unterschriebenem Vertrag zu sorgen. 1868 hatten sich bereits zwanzig Fabriken und Werkstätten in Ehrenfeld niedergelassen. Sie zogen zwangsläufig schnell Arbeitskräfte nach. Ab 1861 verdoppelte sich in vier Jahren die Einwohnerzahl von 1272 auf 2.500. 1868 waren es 5.000, 1911 waren es 71.000 und 1922 waren es 76.000. Als 1860 auf dem Bahnhof Ehrenfeld die ersten Eisenbahnzüge hielten, die Personen und verarbeitete Waren leicht heranbrachten, war bereits aus dem ausgeziegelten Feld am Ehrentor die neue „Stadt" Ehrenfeld entstanden.

 

Zur Namensfindung

All das war in Szene gegangen, weil – wie es in einem ernstzunehmenden Buche heißt- „Ehrenfeld seine Entstehung eigentlich einer Karnevalsidee verdankt". Und diese "Schnapsidee" wird folgendermaßen beschrieben:

„Mitte Januar 1845 saßen in der Wirtschaft Lögen, dem damaligen „dreckigen Kaiser" auf der Ehrenstraße, eines Abends Stammgäste zusammen. Präsident war der Buchhändler und Antiquar Franz. Anton Kreuter. Dieser schlug plötzlich vor: „Weßt Ehr wat – der Fastelovend trick nit mih! M´r welle en neu Stadt baue... Dann kütt hä am Engk wieder op de Bein!"

 

Die Venloer Straße gab´s schon länger

Anfangs lachte alles: Kräuter entwickelte nun aber seine Pläne des näheren, und zwar wollte man – wie gesagt - den vielen Kölner Baugesellschaften entgegentreten, die seit 1830 die Preise für Grund und Boden zu schwindelnder Höhe trieben. Das sollte geschehen durch Bauen außerhalb der Stadtmauern. Er verstand alles so klar und gewinnend auseinander zulegen, dass der Stammtisch entsprechend beschloss.

Nun musste man sich über den Namen einigen und kam, weil die Gründungsidee von der Ehrenstraße ausgegangen, zu dem Namen „Ehrenfeld" (Räuberfeld" nannte man es noch in den achtziger und neunziger Jahren). Zug um Zug ging´s weiter; die ersten Straßen waren: Bahnstraße, Vereinsstraße, Heriberthustraße, Karlstraße und Subbelrather Straße. Die Venloer Straße hieß schon so vor der Gründung der Ortes.

 

Eingemeindung

Während auf dem Turm von Sankt Pantaleon der erste optische Telegraph die Zeichen von der Station im Vorgebirge aufnahm und sie manchmal zur Gegenstelle auf dem Bensberger Schloss weitergab, der Dom über die Seitenschiffe, das Chor und das Langhaus bis 1880 über die beiden Türme, 632 Jahre nach der Grundsteinlegung, fertig wurde, wuchs auch das neue Ehrenfeld mit der Schule, der Kapelle und dem Bahnhof zu einem ansehnlichen Stadtgebilde und wurde am 1. April 1888 eingemeindet.

Leben und Feiern in Ehrenfeld. Häufig wurde gefeiert, die Bräuche brachte man sich aus der Stadt mit, ja man machte sonntags seinen Spaziergang zur Stadt. Die Deutzer Kürassiere hatten ein „Staatsees" Musikkorps, das sonntags im Stadtgarten Märsche, Charakterstücke und Tänze blies.

Und wo Soldaten sind, dahin kommen Mädchen, und wo beide sind, da gibt es manchmal eine zünftige Keilerei. „Plünn, du schnappst dir ding Schohn und geihs met dem Billa noh Hus. Sonst sage ich et dingem Vatter!" befahl der pickel-häuptige Polizist.

Auch im Dreikaiser-Saal in der Everhardstraße war Tanz, und wenn die Soldaten im engen Bratenrock – durchschwitzt von dem Weg längs dem wasserlosen Graben in der Nähe des heutigen Hubschrauberplatzes - auf die Mädchen hinter den langen Tischen zugingen, dann schoben diese sich schnell die Tanzschuhe zu. Das Glas Limonade kostete 5 Pfennige und den Sechser für die Musik musste „er" bezahlen.

An der Ecke Philippstraße spielte das erste Kino, d. h. in einem ausgeräumten Laden werden die Rollladen runtergelassen, 50 Stühle reingesetzt und für 5 Pfennig kann man einen Lustspielfilm sehen, wo der Held einem anderen quer über den Markt nachläuft, bis alle Stände umgeworfen sind. Und einen Wildwestfilm, wo am Schluss alles tot ist und die Nadel des musikmachenden Trichtergrammophons in einer Rille der Platte hängen bleibt.

Zweistöckig wie heute noch das Haus 302 auf der Venloer Straße ist die Bebauung in Ehrenfeld und aus der Metzgerei in diesem Haus stammen häufig die Knochen, die die Pänz unbemerkt (wie sie glauben!) an die Griffe für die Hausglocke hängen, die zur der Zeit noch gezogen werden. Bald ist auch ein Hund angelockt, der an dem Knochen reißt, bis die Glocke ertönt.

 

Schieben helfen

Für ein Trinkgeld hält die Pferdebahn sogar vor der Haustür. Dafür müssen die Fahrgäste aber auch schieben helfen, wenn sie in den Kurven, z.B. an der Leyendeckerstraße aus den Schienen springt. Bei den vom Alkohol oder der Müdigkeit übermannten Fahrgästen erkundigten sich die stets zu Scherzen aufgelegten Schaffner: „So, auf der Venloer Straße wohnt Ihr? Und auf welcher Etage? Es soll auch schon vorgekommen sein, dass der Fahrer auf der letzten Tour des Tages einem Bekannten die Zügel anvertraute, weil er dem Schaffner helfen musste, an den Beinen einen Fahrgast die Treppen raufzuschleppen, der zuviel geladen hatte.

Die Schützenfeste der Sankt-Sebastianus-Schützengilde von 1874 sind wirkliche Volksfeste, die im August jeden Jahres vier Tage dauern. Wochen vorher rüsten die Ihrefelder mit Straßensaubermachen, mit Anstreichen, mit Girlandenziehen, mit Fahnenmastenaufrichten und mit Kuchenbacken. Da rollen die breiten Bierkutscher mit den stämmigen Pferden öfter als sonst mit den Fässchen obergärigem Kölsch heran.

Da baut sich an der Philippstraße, dem Subbelrath zu, eine Zeltstadt auf, deren Mittelpunkt das mehrmastige Festzeit ist. Da putzen die Schützen die Hörner, und vor den Fenstern hängen die grünen Monturen. Am Festsamstag drängt es durch die Straßen, da kommt der Besuch mit Koffern und Kasten, bis zu zehn und fünfzehn Mann.

 

Man bleibt da

Und die Nachbarn werden um vorübergehendes Logis gebeten. Denn wenn man auch nur aus Deutz oder aus dem inzwischen ebenfalls eingemeindeten Mülheim kommt: Vum Ihrefelder Schötzefeß kann man nicht nach Hause gehen. An diesen Tagen bleiben in den Tapetenfabriken, in den Bilderleistenfabriken in der Vogelsang, in der Chemischen und in der Glasfabrik auf dem Gürtel mehr Plätze leer als zu Fastelovend, dem anderen Fest der Kölner – der Ihrefelder! So ist denn der Festtrubel alljährlich für alle Einwohner Ehrenfelds wie ein richtiges großes Sportfest, zu dem die Mannen im fairen Wettbewerb zeigen, was sie können und wer´s besser kann.... das Schießen (und beiläufig auch das Trinken).

 

Viele Meister

Aber auch die rechten Leibesübungen haben die Begeisterung der Ehrenfelder – im Ausüben und im Zuschauen. Ältester Verein ist der TV 79 Ehrenfeld, und die drei Buchstaben „TVE" waren bald ein Begriff, wie ebenso Ehrenfeld eine Domäne des gesamten domstädtischen Sportgeschehens wurde. Man kann die Deutschen Meister, ja sogar Weltmeister gar nicht alle aufzählen. Vom unvergessenen Radweltmeister Albert Richter, vom Ringer-Europameister Heini Nettersheim oder dem Deutschen Schwergewichtsmeister Vincenz Hower angefangen, bis zu den Nachkriegsmeistern im Boxen und Radsport, Horst Langer bzw. Willi Trost – sie alle waren Ehrenfelder.

Die Fußballer – von denen der alte Verein „Ehrenfeld 10" längst eingegangen ist – hatten damals ihre großartige Rhenania. Ob Stupp oder Hermanns, Körfgen oder Jüngel Ermes, Reichmanns Schorsch oder Franz Dubois und Mathes Melchior – bekannte Spieler, die zu verschiedenen Zeiten spielten -, die Rhenanen waren stets eine der beliebtesten Mannschaften Kölns. Längst haben sich die „Veilchen", wie sie einst genannt wurden, als SC West mit dem FC Phönix, aus dem einmal Böff Pelzer hervorging und bei dem zuletzt noch Nationalspieler Georg Euler spielte, vereinigt.

Von den Boxvereinen ist aus der Rhenania-Staffel, dem späteren BC Westen, zunächst nach dem Kriege der SC West und dann wieder der BC Westen entstanden. Und bei SC West unter Heinz Schmitz-Uhsners Betreuung sogar einen Oberligisten aufzuweisen. Auch der Traditionsverein Ehrenfeld 65 hat wieder eine spielstarke Mannschaft.

 

Wiege der Boxer

Und wenn man heute Erinnerungen an einstige Zeiten wachrufen will, dann darf man an den Ehrenfelder Veranstaltungsstätten, sei es der alte Westpalast oder der „Latten-Ring", sei es das Neptunbad oder das Takufeld, nicht vergessen. Allen voran steht dann aber die alte Rheinlandhalle, auf deren Piste sechs Sechstagerennen, mit Rausch-Hürtgen als den Lieblingen, rollten, wo an den Sonntagsvormittagen die Radsporttalente förmlich aus dem Boden gestampft wurden, wo ein Albert Richter, ein Toni Merkens, ein Jean Schon oder ein Hans Zims „geboren" wurden und wo Schlachten geschlagen wurden, die die Besucher von den Bänken rissen. Hier stand auch die Wiege der Boxer. Man kann die Ringschlachten der Gühring, Seybold, Breitensträter, Dübbers, Domgörgen, Besselmann, Selle, Dan Schink, Hower, Müller, Esser, Metzner, und wie sie alle hießen, gar nicht mehr aufzählen. Man kann nur noch mit Wehmut feststellen, dass Köln – dankt der Domäne Ehrenfeld – wahrhaft eine Sportstadt war.

Und wenn sie wieder einmal eine werden sollte, dann wird dies gewiss auch nicht ohne die „Ihrefelder Junge" gehen.

Auf dem Pfarramt von Sankt Rochus in Bickendorf befinden sich noch Urkunden aus dem Jahr 1840. Aus ihnen geht hervor, dass das gesamte Gebiet, das heute Ehrenfeld umschließt, zur Bürgermeisterei Müngersdorf gehörte. Dies Amt umfasste 14 Ortschaften. In diesen Urkunden lässt sich der Name Ehrenfeld nicht nachweisen, wohl findet sich darin für dies Gebiet als Namen das „Ziegelfeld" und weiter Mechtern (mit zwei Wohnhäusern, 16 Bewohnern, zwei Wirtschaftsgebäuden und fünf Scheunen); der Subbelrather Hof umfasste ein Wohngebäude mit 21 Bewohnern und neun Ställen. Der Ort Ziegelfeld selbst bestand aus zwei Wohnhäusern, zwei Wirtschaftsgebäuden und fünf Ställen. 17 Einwohner werden genannt.

Heute umfasst der Verwaltungsbezirk Ehrenfeld sechs Gebiete mit zusammen 43 400 Einwohnern. Davon entfallen auf Neu-Ehrenfeld 27 000, Vogelsang 9000, Bickendorf 15 900, Bocklemünd 2 200 und Ossendorf 4 500 Einwohner.

Im Jahre 1867 löste sich Ehrenfeld aus der Gemeindeverwaltung mit Müngersdorf und bildete bis zur Eingemeindung in den Bereich der Stadt Köln im Jahre 1888 eine eigene Verwaltungsgemeinde. Ende der achtziger Jahre hatten sich bereits zwölf Großbetriebe angesiedelt. Darunter befanden sich eine Tapetenfabrik, die mit die erste war, ein Mühlenbetrieb und den jetzt wiederauf- und ausgebauten Betrieb von 4711, damals Maria Farina, der 1874 als Seifensiederei der Kölnisch Wasser-Fabrik in der Glockengasse 4711 hier seinen Zweigbetrieb aufmachte, und zahlreiche Leistenfabriken, die die kostbaren breiten Goldleisten auch ins Ausland vertrieben. Noch heute sitzen Betriebe dieser Art vor allem im Ehrenfelder Raum, der einen größeren Zuzug von vielen Handwerksbetrieben erhielt. 2000 Arbeiter waren in diesen Produktionsstätten beschäftigt. – Und die Zahl der Werktätigen wuchs von Jahr zu Jahr.

 

Arbeitslose die Hälfte!

Hat Ehrenfeld auch die Hungerjahre des ersten Weltkrieges und die Wirren der Nachkriegsjahre überstanden, so bekommt es die ganze Schwere der Wirtschaftkrise der 30er Jahre überdeutlich zu spüren.

An den Ecken der Subbelrather Straße stehen diskutierende Gruppen, junge und alte entlassene Arbeiter gemischt. Viele davon sind bereits ausgesteuert. Sie wurden der Wohlfahrt überwiesen. Die Unterstützungssätze sind verdammt niedrig. Drei Reibekuchen kosten zwei Groschen, und zu der Kinokarte für fünf Groschen gibt es noch ein Bier. Aber dazu reichen die paar Pfennige auch nicht. Und die Lebensmittelgeschäfte in der Stammstraße, in der Philippstraße, in der Leostraße können nicht mehr anschreiben. Die Arbeiter stehen tief in der Kreide. Wer noch Arbeit hat, sucht sie unter allen Umständen zu behalten.

Nur nicht arbeitslos werden, nur nicht krank werden. Tbc, Tuberkulose, jetzt ist die Hohezeit für diese Krankheit. Die Kinder mit den spindeldürren Ärmchen, mit den Beinchen dünn wie drei Streichhölzer, sind schon deutlich von ihr gezeichnet. In einer Siedlung wehen zum 1. Mai die roten Fahnen mit Hammer und Sichel aus dem Fenster. Klein Moskau nennt sie der Volksmund. Sieben

Millionen organisierte Mitglieder der KPD im Reich, doppelt soviel Arbeitslose.

 

Keiner hat Geld

Aber die Geschäfte sind offen. Bei ihnen stapeln sich die Waren bis unter die Decke. Stoffballen, weißes Leinen, Tischdecken, Bettzeug: in den vielen Fenstern von Blume Ecke Venloer und Neptunstraße. Schuhe, derbe und elegante, kleine und große in den beiden Fenstern bei Spiegel und daneben in der Metzgerei hängen die halben Schweine, schichten sie die dicken Speckseiten zu Haufen. Und alles ist so billig! Aber keiner hat Geld!

Da demonstrieren sie wieder. Der Zug kommt vom Arbeitsamt. Sie rufen im Sprechchor: „Was haben wir? – Hunger; was wollen wir? – Arbeit und Brot!" Es sind die Parolen, die auch nächstens mit weißer und schwarzer Farbe an die Mauern der Fabriken geschrieben werden und an die Mauern längs dem Bahndamm. In einer Stunde sind die Fensterläden mit dicken ungehobelten Brettern vernagelt, und auf der Venloer Straße patrouillierten rechts und links Doppelposten der preußlichen Polizei.

Auch das gehört zur Geschichte des Vororts, gehört zu Ehrenfeld, dessen schaffende Menschen Notzeiten am härtesten erlitten.

Nachkriegszeiten die kurz nach der Jahrhundertwende in einem Holzlager in der Wissmannstraße ihren Ausgang nahm und die teils aus Holz bestehenden Häuser dieser Straße in Asche verwandelte, so vermochte auch die Hölle des Bombenkrieges Ehrenfeld nicht vollkommen auszulöschen. Hinter den mit Holz und Pappe vernagelten Fenstern der Hausruinen lebten jahrelang die hungernden und nur nach Brand und Essen Ausschau halten Menschen. Mit dem Währungsschnitt trat hier ein sichtbarer Wandel ein. Es verschwanden die Maggel- und Goldecken, es verschwand die Boscowährung der Hunger stillenden Zigaretten, und es verschwanden die Schnapsbrennereien, die ihren Knolly-Brandy nicht mehr loswurden.

Von der Neuzeit unberührt, noch von vielen Unzulänglichkeiten der Kriegs- und Nachkriegsjahre behaftet, scheint uns der Bahnhof, vor dem sich die Stahlspitzen eines in Mannshöhe von einer Bombe abgedrehten Kandelabers wie Schwurfinger in den Himmel recken. Das ist ein Denkmal der Vergangenheit, das gepflegt werden sollte. Eilzüge, Personenzüge und der Nahschnellverkehr nach Aachen, Düren, Nörvenich, nach Brüssel, Frankfurt, Venlo halten hier, und wenn der letzte Zug um 23.59 Uhr den Bahnsteig 2 verlassen hat, folgt ihm schon um 0.07 Uhr der erste nach Mönchen-Gladbach ebenfalls von Bahnsteig 2.

 

Starker Schulbetrieb

Zur Realschule für Mädchen in der Gravenreuthstraße unter der Direktorin Marga Esch kommen in noch unzulängliche Gebäude, ohne Turnhalle, ohne Kochküche u.a. täglich 520 Schülerinnen. Sogar Fahrschülerinnen aus Frechen und Stommeln sind angemeldet. Im neuen Ehrenfeld bekam das alte ausgebombte Reform-Real-Gymnasium „Spiesergasse" im Albertus-Magnus-Gymnasium mit dem neuen Namen auch ein mustergültiges Schulhaus, wie auch die Volksschule in der Everhardstraße.

 

Zwei Brunnen

Von einem Ehrenfelder Jungen, dem Bildhauer Hein Derichsweiler geschaffen, wird in diesem Sommer auf dem Lenauplatz der Max-und-Moritz-Brunnen aufgestellt. Zwischen den Verkaufsständen auf dem Markt an der Venloer Straße, neben der 1849 von den Eheleuten Wahlen gestifteten Kirche, die zu einer Gedenkstätte für die Kriegsopfer ausgestaltet wurde, steht seit dem Sommer 1957 der Marktbrunnen vom Kölner Bildhauer Kurt-Wolf von Borries noch nicht eingeweiht. Auf sechs Säulen ragen über der 1,80 Meter breiten Bronzeschale bis 2,70 Meter sechs Marktleute mit ihren Erzeugnissen.

Die Straßenbahnlinien 5 und 13 wurden ab Ehrenfeldgürtel über die Nußbaumer Straße verlegt, und an der Inneren Kanalstraße entstanden zwei Plätze der Bezirkssportanlage, zu der der „Monate Clamotte", der Trümmerberg an der Herkulesstraße, herübergrüßt.

 

Moderne Automation

80 Prozent war das jüngste Kind des Schokoladenkonzerns Kwatta, das seit 1921 am Vogelsang beheimatet ist, von Bomben zerstört. Neben dem Wiederaufbau ist auch die Automation durchgeführt. 95 Prozent der Produktion gehen ins Ausland. Die Kölnerin stellt auf Grund ihrer guten Veranlagung in diesem Betrieb den Stamm. Wenn sich der Wind dreht, mischt er den süßen Schokoladengeruch mit dem von Parfüm und Seifenduft, der zu Schichtschluss von den 1300 Arbeitern von 4711 in die Straßenbahnen getragen wird, die im Volksmund Toscabahnen heißen. Die Geschichte von Mülhens 4711, der am 17. Dezember 1873 beim Bürgermeister des Amtes Ehrenfeld „um Concessionsertheilung für eine zu etablierende Seifen- und Parfumerie-Artikel aller Art–Fabrik" einkam, ist fast die Geschichte dieses Vorortes und vieler Familien.

 

Jede Art Kundendienst

Vor einem Jahr baute die Firma Eklöh mit zwei Millionen D-Mark die geschichtsreiche Rheinlandhalle zu einem Supermarkt mit 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche um. 135 Personen erbrachten in dieser Zeit 9,2 Millionen Umsatz, wie es bisher noch in keinem Selbstbedienungsgeschäft erzielt wurde. Allen Voraussagen zum Trotz freundete sich die Kölner Hausfrau mit dieser Neuentwicklung im deutschen und europäischen Lebensmitteleinzelhandel, mit auf Kugellager laufenden Einkaufswagen an den zu Bergen geschichteten Auslagen vorbei ihren Bedarf auszuwählen, schnell an. Natürlich hat auch das Verhältnis zwischen Einzelhändler und Kunde seine alte gute Bewährung in Ehrenfeld.

So gibt dieser Kölner Vorort ein Beispiel wagenden Geschäftsgeistes, der ein zeitnahes Gesicht prägt. So werden auch die Wünsche der Bevölkerung, recht bald ein Verwaltungsgebäude West, in dem die verstreut liegenden einzelnen städtischen Stellen untergebracht sind, wie auch eine neue Unterkunft für den Polizeiabschnitt. West zu bekommen, bei Rat und Verwaltung offene Ohren finden, denn der Unternehmergeist des ehemaligen „Ziegelfeldes" ist überall zu spüren.    [K.O.]

„Ehrenfeld hat einen neuen Bürger–Bas !“

Vergangenen Montag war auf der Bürgervereinsversammlung im „Strohhut“ alles da
einer der Gäste war der Pfarrer Wiesdorf von der Gemeinde St. Barbara.
Erster Ehrengast war der 77 jähriger Vater unserer Kölner Bürgervereine.
Sie wissen, dass ich den „Menschenfreund“Obermedizinalrat Dr. Greischer meine.
Es wurde des verstorbenen Schriftführers Dr. Franke ehrend gedacht
und dann der verdiente Hans Wild zum Ehrenvorsitzenden gemacht.
Schnell gingen die Programmpunkte reibungslos vorbei
die Kassenprüfer fanden alles gut und ohne Beanstandungsgeschrei.
Nachdem Hans Wild wegen Krankheit ging in die Bürger-Bas-Pension
schritt man nun auch schnell zur Neuwahl des Vorstandes schon.
Ratsmitglied Wilczek leitete souverän, ohne Wahlvorstandstisch
alles verlief harmonisch, glatt, nirgendwo zu sehen ein Bösewicht.
Nun haben wir einen neuen alten Vorstand mit Verstand und Sinn
Ehrenfeld hat ´nen neuen Bürger-Bas: Wilhelm van den Valentyn.
Von der SPD waren Bezirksleiter Bungarz und Frau Hoß auch da
von der FDP man Hans Bruckwilder mit seinen Freunden sah.
Etwas abseits saß CDU-Ratsmitglied Haumann auf ´nem einzelnen Sitz
und endlich mal wieder sah Ehrenfeld Ratsmitglied Dr. Herbert Britz.
Dein Freund und Helfer entsandte ihren zuständigen Rat,
der ja den Namen Schaberer hat.
Zwei KGs hatten Führungskräfte im vollen Saal.
Geschäftsleute, Interessenvertreter, ganz nach Wahl.
Dann wurde der Versammlung Beigeordnete Dipl.-Ing. Baecker vorgestellt
er sprach über die stadtkölnische Planung in Ehrenfeld.
Er sprach, dass ab 1972 die Ehrenfelder U-Bahn wird gebaut
und über die Iltisstraße, was manchen hingebaut.
Kolpinghaus-Vertreter will Saal vergrößern für Vater und Sohn,
Pfarrer Wiesdorf und Gerhard Wilczek machten in notwendige Dechenstraßen-Aula-Koalition.
Alles in allem, diese Bürgervereins-Versammlung machte mal wieder Spaß
und wir haben einen würdigen Hans-Wild-Nachfolger: Wilhelm van den Valentyn als Bürger-Bas.

Köln,  19.03.1968

Hannes von Ehrenfeld

 

 

Ehrenfeld 1967 in Zahlen

Ehrenfeld hat 96.582 Einwohner; davon sind 6.986 unter 6 Jahre, 7.695 von 15-21 Jahre, 34.172 von 40-65 Jahre, 11.152 von 65 und mehr Jahre und 64 (ohne Altersangaben) alt. Von den 95.582 Einwohnern sind 68.604 Katholiken, 22.636 Protestanten und 2.499 ohne Konfessionsangabe. 2.866 sind im Berichtsjahr aus der DDR zugezogen.

Von den oben genannten 96.582 Einwohnern sind ferner 47.038 Erwerbspersonen, unterteilt in 4.229 Selbstständige, 1.253 mithelfende Familienangehörige, 2.454 Beamte, 14.128 Angestellte, 22.505 Arbeiter, 2.406 Lehrlinge und 63 ohne Berufsangaben. Hierzu kommen 18 Schüler als Erwerbspersonen und 10.093 Nicht-Erwerbspersonen. Der Stadtteil Ehrenfeld hat 9.560 Einzelpersonen-Haushalte, 28.807 Mehrpersonen-Haushalte und 31 Anstalten mit 1.115 Personen.

Dieser Stadtteil hat 4.778 Arbeitsstätten, davon sind 1.333 Handwerksrollen und 4.118 Einzelnhandelsniederlassung mit 44.739 Beschäftigten.

Das Alter der Wohngebäude in Ehrenfeld zeigt sich wie folgt: 
- 50 % bis 1918, 
- 20 % von 1918 bis 1948 und 
- 30 % von 1949 und später. 
Davon sind 3.261 Ein- und Zweifamilienhäuser, 4.144 Mehrfamilienhäuser, 304 sonstige Gebäude, 561 Notwohngebäude, 209 bewohnte Nichtwohngebäude = 8.479 bewohnte Gebäude.

Quelle: Ehrenfelder Wochenspiegel 10.05.1968

 

 


25.10.1944: Die Edelweißpiraten

An der Ecke Schönsteinstr / Batholomäus-Schink-Strasse befindet sich das links abgebildete Denkmal. 1972 wurde diese Gedenkstätte vom Kölner Jugendring gestiftet.

Auf der Gedenktafel befindet sich der folgende Text:

"Hier wurden am 25.10.1944 elf vom NS-Regime zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppte Bürger Polens und der UdSSR und am 10.11.1944 dreizehn Deutsche - unter ihnen jugendliche Edelweisspiraten aus Ehrenfeld sowie andere Kämpfer gegen Krieg und Terror - ohne Gerichtsurteil öffentlich durch Gestapo und SS gehenkt."

Die Anfänge der sogenannten "wilden Jugendgruppen", zu denen auch die Edelweißpiraten gehörten, entstanden in den Jahren 1938/39, als die HJ durch die "Jugenddienstpflicht" vom 25.2.1939 die Freiheiten der Jugendlichen immer mehr einschränkte. Diese Einschränkung hatte zur Folge, daß viele Jugendliche den Wunsch nach jugendlicher Selbstbestimmung hegten und dementsprechend die Disziplin und den Massencharakter der nationalsozialistischen Jugendorganisationen ablehnten.

Das galt auch für Mädchen, die sich nicht in die "Frau und Mutterrolle" der Nationalsozialisten drängen lassen wollten und sich deshalb den wilden Jugendgruppen anschlossen. Durch die Mädchen wurde die Anziehungskraft dieser Gruppen erhöht, da in der HJ eine absolute Geschlechtertrennung herrschte.

Die Jugendgruppen entstanden direkt aus der 1933 verbotenen bündischen Jugend oder lehnten sich an deren Traditionen an. Die bündische Jugend hatte ihre Wurzeln in der 1899 entstandenen Wandervogelbewegung. 1913 wurden diese Jugendgruppen zur "Freideutschen Jugend" zusammengeschlossen (auf dem Hohen Meißner bei Kassel). Ziele des Zusammenschlusses waren: Selbstverantwortlichkeit und Selbsterziehungsrecht, Anerkennung des Eigenwertes der Jugend, Lebensformen durch Rückkehr zur Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit (Wandern, Volkslied, Volkstanz). Daraus resultierend entstanden die "Freien Schulgemeinden". Ende der 20er Jahre modernisierte sich diese Art von Lebensform. Der Einzelne und die Gruppe verloren an Bedeutung. Die uniformierte Masse stand immer mehr im Vordergrund. Anstatt zu wandern wendete man sich mehr und mehr zu Sport und Technik hin. Diese Entwicklung wurde von den Nationalsozialisten aufgenommen und in ihr Programm miteinbezogen, was sich im Charakter der NS-Jugendorganisationen niederschlug. Die alten bündischen Gruppen wurden dementsprechend gleichgeschaltet und die alten Formen bündischen Lebens verboten. Wer sich der Gleichschaltung bzw. dem Verbot widersetzte, wurde verfolgt und bestraft.

Bündische Gruppen gab es schon seit 1933. Anfangs waren es in der Regel Jugendliche aus dem Bürgertum, die Mitglied in diesen Gruppen waren. Nach 1938 sahen auch "proletarische Jugendliche" in den Traditionen der bündischen Jugend eine Alternative zu den NS-Jugendorganisationen. Das verstärkte sich nach Kriegsbeginn, als der paramilitärische Drill in der HJ immer stärker wurde. Die bündischen Jugendgruppen gaben sich Namen wie: Harlem-Club, Navajos, Rotes-X, Kittelbach-und Edelweißpiraten.

Die größte Gruppierung waren die Edelweißpiraten, die im gesamten Reichsgebiet existierten, mit dem Schwerpunkt im Rhein-Ruhr-Gebiet. Mitglieder der Edelweißpiraten waren überwiegend junge Arbeiter, die die Traditionen der bündischen Jugend pflegten. Ihr Erkennungszeichen war ein Edelweiß unter dem linken Rockaufschlag oder eine edelweißfarbene Stecknadel. Oft trug man auch Fantasiekluften, Totenkopfringe und mit Nägeln beschlagene Gürtel.

Es wird geschätzt, daß die Edelweißpiraten mehrere tausend Anhänger, im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, hatten.

Die Jugendlichen hatten eine bewußte Antihaltung gegenüber dem Staat, allerdings kein politisches Konzept und keine gemeinsame Organisation. Da die einzelnen Gruppen nebeneinander her existierten, hatte später die Gestapo bessere Zugriffsmöglichkeiten.

Der Widerstand der Edelweißpiraten gegen das NS-Regime äußerte sich in der Anfangsphase in der Durchführung verbotener Fahrten und Zeltlager. Das freie Fahrtenwesen der Wandervogelbewegung war von der HJ-Führung verboten worden. Stattdessen wurden HJ-Fahrten und -Lager eingeführt. Hier war der Tagesablauf mit militärischer Disziplin geregelt, es dominierten ideologische Schulungen und paramilitärische Übungen. Um den oppositionellen Jugendlichen die freien Fahrten unmöglich zu machen, wurde ihnen das Trampen verboten und die Benutzung von Feuerzelten. Diese Verbote wurden wiederum damit durchgesetzt, daß Fahrtenerlaubnisscheine eingeführt wurden und der HJ-Streifendienst gebildet wurde, der die verbotene Fahrtenaktivität kontrollieren sollte. Die Edelweißpiraten mißachteten des Fahrtenverbot und trampten innerhalb Deutschlands umher. Sie trugen dabei eine spezielle Fahrtenkleidung, über die sie vor jeder Fahrt abstimmten. Die Fahrtenkleidung bestand aus kurzer Hose, weißen Strümpfen, Halbschuhen, Kletterweste und Schottenhemd. Die Mädchen trugen weiße Blusen, blaue Röcke und weiße Söckchen.

Auf den Fahrten traf man sich mit anderen Gruppen, zeltete zusammen und sang verbotene, bündische Lieder.

Ein Zusammentreffen mit dem HJ-Streifendienst führte automatisch zu Konflikten mit der Staatsmacht. Die Jugendlichen wurden von der Polizei verhört und für den Wiederholungsfall wurde ihnen mit schärferen staatspolizeilichen Maßnahmen gedroht.

Besonders verhaßt waren den Edelweißpiraten die HJ-Führer, da sie als hundertprozentige Nazis galten. Wenn diese HJ-Führer nach Dienstschwänzern suchten, wurden sie oft in eine Falle gelockt und verprügelt. Ein anderes Widerstandsmittel war das Verteilen von Flugblättern mit antifaschistischen Inhalt und das Malen von Wandparolen mit ebensolchen Inhalt.

Die Jugendlichen hörten auch feindliche Sender ab und verbreiteten die Nachrichten auf Flugblättern. Das Hören von Feindsendern und die Verbreitung der Nachrichten war eine lebensgefährliche Sache.

Mit zunehmender Brutalität des Krieges bildeten sich immer neue Jugendgruppen. Sie trafen sich an den Bunkern, wo sich ihr Alltag abspielte. Man sprach darüber wie schön es wäre ohne Krieg, wenn man tun und lassen könnte was man wollte, nicht zum HJ-Dienst müßte u.s.w.

1943 entschlossen sich einige Mitglieder der Edelweißpiraten, in die Illegalität zu gehen und Kontakt zur politischen Opposition aufzunehmen. Es handelte sich hier um Edelweißpiraten aus dem Köllner Arbeiterstadtteil Ehrenfeld, der sogenannten "Ehrenfelder Gruppe". Diese Gruppe bestand aus geflohenen Häftlingen, Zwangsarbeitern, Russen, Juden, Deserteuren und Jugendlichen.

Die Ehrenfelder Gruppe nahm Verbindung mit der größten Kölner Widerstandsorganisation, dem Nationalkomitee Freies Deutschland, auf. In Ehrenfeld selber existierte eine bewaffnete Widerstandsgruppe des National Komitees. Gebildet hatte sich die Ehrenfelder Gruppe um den geflohenen KZ-Häftling Hans Steinbrink (genannt Bombenhans).

Hans Steinbrink kam aus einem antifaschistischen Elternhaus. Er kam öfters mit den Nazis in Konflikt, was ihn letztendlich ins KZ brachte. 1944 gelang ihm bei einen Bombenräumkommando die Flucht. Er tauchte unter bei der Frau eines Freundes und versteckte dort Juden, Flüchtlinge und Deserteure.

Die Aktivitäten der Ehrenfelder Gruppe wurden zum größten Teil von Steinbrink geplant. Zu der Gruppe gehörten auch Bartholomäus Schink und seine Freunde. Durch bestimmte Erlebnisse hatten diese Jugendlichen einen abgrundtiefen Haß gegen die Nationalsozialisten entwickelt.

Die ersten Aktivitäten der Gruppe bestanden darin, geflohene Zwangsarbeiter und Deserteure zu verstecken. Aus diesem Grunde verübten sie Diebstähle, um die Versteckten mit Lebensmittel und Geld zu versorgen. Später begann man Waffen zu sammeln, die man sich auf dem Schwarzen Markt besorgte und im Unterschlupf der Gruppe in der Schönsteinstraße lagerte. Mit den Waffen wollten sie als Partisanen gegen die Nazis kämpfen.

"...In erster Linie ist hier die Großbande zu nennen, die seit August 1944 im Stadtteil Köln-Ehrenfeld ihr Unwesen trieb. Nach den Feststellungen der Staatspolizei zählte sie 128 Köpfe. Sie setzte sich in gleicher Weise aus Deutschen und Ausländern zusammen. Sie terrorisierte nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern hatte es auch darauf abgesehen, politische Leiter der NSDAP zu beseitigen. In ihren Reihen befanden sich auch viele Jugendliche im Alter von 16 - 18 Jahren, ja sogar von 15 Jahren, die früher den "Edelweißpiraten" angehört hatten...Unter den Ermordeten befinden sich 5 politische Leiter, 1 SA-Mann, 1 HJ-Angehöriger, 6 Polizeibeamte, darunter der Leiter der Staatspolizeistelle Köln »SS-Sturmbannführer Reg.Rat. Hofman« - und zwei weitere Beamte der geheimen Staatspolizei..." (aus dem Lagebericht des Kölner Generalstaatsanwaltes vom 30.Januar 1945)

Es wurden "Richtlinien zur Bekämpfung jugendlicher Cliquen" am 25.10.1944 von Kaltenbrunner erlassen. Durch diese Richtlinien wurde die Auseinandersetzung mit den oppositionellen Jugendgruppen auf eine politische Ebene gestellt. Das heißt, die Jugendlichen wurden als Staatsfeinde und Hochverräter behandelt. Die Nazis sahen in der Jugendopposition im Grunde keine Form des Widerstandes, sondern in erster Linie die Infragestellung ihres totalitären Erziehungsanspruches. Im Kriege kam noch die Gefahr der sogenannten "Wehrkraftzersetzung" dazu, da sich die Jugendlichen gegen den Krieg aussprachen.

Bereits 1940 wurde das Jugend-KZ Moringen eingerichtet. Hier wurden unangepaßte Jugendliche dauerinhaftiert. Viele Edelweißpiraten gehörten zu den ca. 1000 Häftlingen. Anfang Oktober 1944 wurden Bartholomäus Schink und seine Freunde festgenommen. Man schaffte sie ins Gestapo-Hauptquartier in der Elisenstraße. Dort wurden sie schwer mißhandelt und am 10.November 1944 Ecke Schönsteinstraße / Venloerstraße ohne Gerichtsverfahren gehängt. An der gleichen Stelle waren am 25.Oktober 1944 elf Zwangsarbeiter aus Osteuropa gehängt worden, wegen angeblicher Plünderungen während der Bombenangriffe.

"Die haben einige der Edelweißpiraten in Ehrenfeld an der gleichen Stelle aufgehängt wie drei Wochen vorher die Fremdarbeiter. Anschließend soll ein Gestapo-Mann verkündet haben, daß es sich um ganz gefährliche Verbrecher gehandelt habe, die zum Schutz der öffentlichen Ordnung hätten aufgehängt werden müssen. Viele Menschen haben zugesehen, aber niemand hat sich getraut etwas zu sagen, denn das ganze Gelände war schwer bewacht, überall SS und Gestapo mit Maschinengewehren im Anschlag. Die Leichen haben fast den ganzen Tag am Strick gehangen, bis zum nächsten Luftangriff, dann wurden sie erst abgenommen. Insgesamt sollen es 13 Personen gewesen sein, darunter sechs Jugendliche. Der Jüngste war erst 16 Jahre alt."

 

 

„Terrain Ehrenfeld gänzlich unbekannt"

Franz Anton Kreuter, Antiquar, Schriftsteller und Humanist gründet einen Vorort

Ehrenfeld ist alte Ziegelbäckergegend. So vor etwa hundert Jahren vollzog die werdende Großstadt Köln ihre erste Stadterweiterung, die unter ausgesprochen spekulativen Anzeichen und Umständen die Freiräume in dem alten mittelalterlichen Mauerring ausfüllte.

Eine solche Baukonjunktur war bis dahin noch nicht da gewesen. Es gab ganze Unternehmergruppen, die sich auf die Ausschließung bestimmter Gegenden, alter Höfe und Gutsbesitze warfen und sich auch zeitweise bekämpften. Der Volksmund nannte diese Leute, die nur von Quadratfüßler, Talern, neue Straßen, Reisen und dergleichen redeten, die „Quadratfüßler", und auch die einzelnen Gruppen hatten Namen wie z.B. „Wurstbrigade", weil an ihr hauptsächlich Metzger beteiligt waren.

In jenen 30er, 40er Jahren des 19. Jahrhunderts nun war das „Ziegelfeld", da wo heute Ehrenfeld steht, Hauptlieferant mit für die unheimliche Bauerei in der Stadt Köln und auch an der preußischen Fortifikation. Von Ehrenfeld war damals noch nichts zu sehen. Lediglich zwei Häuser standen auf weiter Flur. Das älteste Gebäude war die spätere Restauration des Kölner Sommertheaters, davor Effertsgut genannt, das zweite hieß das „Rote Haus"; dieses war von einem gewissen F. J. Maus gebaut und zwischen 1840 und 1850 ein beliebtes Tanzlokal der Kölschen. Sonst dehnten sich rings um weit die Felder und Ländereien des Mechterner und des Subbelrather Hofs. Mechtern ist uralter, schon im Römischen genutzter Boden mit einer heiligen Geschichte. Hier soll nach der Legende der heilige Gereon mit den Thebäern den Märtgerertod gestorben sein. Über alle diese Örtlichkeiten breitet sich heute das ausgedehnte Areal von Ehrenfeld. Warum das alles hier erzählt wird?

Die Stadt hat sich 1862 entschlossen, eine Straße nach dem sogenannten Begründer von Ehrenfeld, nach Franz Anton Kreuter, zu benennen. Dieser Kreuter war nun nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, ein Kaufmann der neuen Zeit, dem es darum zu tun war, schnell – wenn auch auf Kosten unvergleichlicher städtebaulicher Werte Kölns – reich zu werden; er war auch kein planender Verwaltungsbeamter, kein Spezialist. Er war im besten Sinne das, was man einen alten Kölner nennen könnte.

1810 in Köln geboren, hatte er noch dieses ganze unvergleichliche Milieu, diese späte, sterbende Schönheit der alten Reichsstadt, wie Sie Weyden beschrieb, wenn auch nur im äußeren Bild mitbekommen. An der Wende der Zeiten stehend, wurde dieser biedere, fromme, liebenswürdiger Mann zum Sammler und Bewahrer von Werten des Kölner Volkstums, die ohne ihn sicher verloren gegangen wäre. So gab er 1852 Kölns Legenden, Sagen und Geschichten in einigen Bändchen heraus. Eine Zeit lang erschien von ihm eine Zeitschrift „Der Kölner Gabbeck, oder der Führer durch die Vergangenheit und Gegenwart"; er arbeitete intensiv an topographischen Aufnahmen in Kölner Straßen, war Zeichner, Verleger, Publizist, Redakteur, Antiquar und Buchdrucker in einer Person, halb Gelehrter, halb Buchhändler, ein Typus Mensch, wie ihn nur eine Stadt wie Köln hervorbringen konnte.

Die noch nicht genormten Bildungsmöglichkeiten am Anfang des 19. Jahrhunderts ermöglichten derartige Männer, die leicht etwas von einem Original an sich zu haben scheinen. Für sie konnte es die Überlegung noch nicht geben, dass für dieses oder jenes Spezialfach schon ein Berufener da sei, der sich darum kümmere. Sie fühlten sich selbst verantwortlich. So ergaben sich etwa die Aufzeichnungen sämtlicher Häuserfassaden des alten Kölns, die heute in großen Mappen im Stadtarchiv aufbewahrt werden. Kreuters Bildung war noch durchaus humanistisch bestimmt. Aber die Zeit war durchaus realistisch und im Aufbruch zu einer neuen Epoche.

Was Kreuter tat, ist wieder durchaus seinem Wesen und eben der Zeit, mit der er groß wurde, angemessen. Kreuter ging hin und übersetzte die (Schul) Klassiker ins Deutsche und gab diese biedern, hölzernen, außerordentlichen praktischen Übersetzungen, etwa in den 60er Jahren unter dem Namen Franz Herbä (lateinisch für Kräuter) heraus. Das waren die außerhalb Kölns „Eselsbrücken", in Köln aber regelmäßig „Ponse" genannten Übersetzungshilfen für ganze Schülergenerationen, eine nicht ungefährliche, aber oft vielleicht unentbehrliche Hilfe bei unzähligen Klassenarbeiten. So ein netter Mann war Kreuter.

Dem „Fortschritt", einem damals sehr beliebten Wort, war Kreuter keineswegs abgeneigt, wenn er auch bei weitem nicht die Robustheit besaß, die andre Zeitgenossen auszeichnete. Es ist durchaus anzunehmen, dass er sogar mit Abneigung die zunehmende Zerstörung der alten Bauschönheiten in seiner Stadt verfolgte. Kurz und gut, eines Tages – im Jahre 1845 – überraschte er seinen Stammtisch in der Brauerei „Zum Kaiser" in der Ehrenstraße, dem er als Präsidenten vorstand, mit den Worten:

„Ich sin, dat dä Fastelovvend nit räch mih trecke well,

weßt ehr wat, meer welle en neu Stadt baue,

un dann solle se wahl kumme."

Er gab die Anregung zum Erwerb von Grundstücken in dem oben genannten Ziegelfeld zwischen der Venloer und der Subbelrather Straße und zur Errichtung der ersten Häuser der zukünftigen Gemeinde Ehrenfeld, die später einen außerordentlichen Auftrieb erlebte. Bemerkenswert an jenem Unternehmen war, dass im Gegensatz zu ähnlichen stadtkölnischen Unternehmungen, wo die Grundstückpreise teilweise enorm hoch waren, billig, gemeinnützig und volkstümlich gearbeitet wurde. Als man schließlich mit den Vorbereitungen fertig war und mit dem Bauen anfangen wollte, kam die Fortifikationsbehörde und sagte „nein". Sie verlangte Straßen, in die man vom Fort beim Stadtgarten im Kriegsfalle mit Kanonen hätte hineinschießen können. Dafür war aber das Terrain zu schmal, und als man nach langen Kämpfen diese Bedenken denn schließlich ausräumen konnte und man dem Landrat Simons aus Vogelsang die Baugesuche einreichte, bekamen alle Antragssteller ein Schreiben folgenden Inhalts:

„Mit Bezug auf Ihre Eingabe betreffend ein Baugesuch auf dem Terrain Ehrenfeld, Flur x, Nr. y, bemerken wir Ihnen, dass uns ein Terrain Ehrenfeld gänzlich unbekannt ist. Sollten Sie jedoch die Stelle in der Nähe des Ziegelfeldes gemeint haben, so eröffnen wir Ihnen folgendes usw."

Der Stammtischrunde vom „Kaiser" in der Ehrenstraße und ihrem Anhang war die Sache so ans Herz gewachsen, dass Sie jetzt aus Grundsatz nur noch von „Ehrenfeld" im Verkehr mit der Behörde sprachen, bis diese die neue Bezeichnung notgedrungen gelten ließ. 1850 fand das Gründungsunternehmen seinen Abschluss. Ehrenfeld machte jetzt seinen Weg allein.

Bliebe noch zu fragen, dass Franz Anton Kreuter 1877 im Bürgerhospital starb. In der Straße unter Goldschmied liegen zwei wunderbar verräucherte, vollgepackte Buchhandlungen und Antiquariate, in denen man „Colonienses", wie der Buchhändler sagt, kaufen kann, alte Stiche, Bücher über Köln, staubige Schwarten, Münzen, Pläne und Muttergottesfigürchen. Es ist wiederum merkwürdig, dass beide Läden zwei Nachkommen unsers Franz Anton Kreuter gehören.

Köln, 1862

 

 

Zur Geschichte des Museums für Lackkunst
in Bickendorf, jetzt in Münster

von Dr. Monika Kopplin
Leiterin des Museums für Lackkunst in Münster

Mit der Eröffnung des Museums für Lackkunst am 25. September 1993 in Münster wurde der Öffentlichkeit eine unternehmenseigene Sammlung zugänglich gemacht, die bereits auf eine etwa sechzigjährige Geschichte zurückblicken kann (Abb. 1). Unter dem Namen "Herbig-Haarhaus Lackmuseum" war sie seit 1955 in eigens dafür hergerichteten Räumen eines Verwaltungsgebäudes der Lackfabrik Herbig-Haarhaus AG im Kölner Stadtteil Bickendorf ausgestellt und auf Wunsch zu besichtigen. Während sie sich auf diese Weise schon frühzeitig in Fachkreisen internationalen Ruf und Anerkennung erwarb, wurde sie einem größeren Publikum erst durch die von Edith Sträßer, der damaligen Museumsleiterin, konzipierte Wanderausstellung "Ex oriente lux - Lackkunst aus Ostasien und Europa" bekannt. Unter diesem ebenso klangvollen wie sprechenden Titel wurde eine repräsentative Auswahl von 170 Objekten von 1977 an nicht nur in mehreren deutschen Städten, so unter anderem in Nürnberg, München, Hamburg, Berlin und Stuttgart, sondern auch europaweit in Brüssel, Kopenhagen, Paris, Madrid, Mailand, Wien, Zürich und andernorts gezeigt. Um 100 weitere Objekte ergänzt, erreichte sie ihre letzte Station 1988 in London. Begleitet wurde die Ausstellung von einem in mehrere Sprachen übersetzten Katalog, der in Übersichtsdarstellungen und Kurzbeschreibungen der Exponate einen Abriß der Lackkunst vermittelte.

Der Name "Herbig-Haarhaus Lackmuseum" stand zugleich für den ursprünglichen Eigentümer und Träger der Sammlung - die Herbig-Haarhaus AG in Köln-Bickendorf. Gründer dieser Lackfabrik, die zu den ältesten Industriebetrieben in Köln zählt, war Robert Friedrich Haarhaus. Seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts zunächst Teilhaber eines Fachgeschäfts, eröffnete Haarhaus 1844 selbst eine Drogerie und Farbwarenhandlung, in der Farben, Lacke und verwandte chemische Erzeugnisse auch nach eigenem Verfahren hergestellt wurden. In den folgenden Jahrzehnten gewann die Firniskocherei zunehmend an Bedeutung, eine Entwicklung vom Fachhandel zur Fabrikation, die - begünstigt durch die 1871 begründete Teilhaberschaft von Haarhaus' Schwiegersohn Adolf Herbig - 1874 mit dem Neubau einer Lackfabrik in Köln-Ehrenfeld ihren Abschluß fand. Das prosperierende Unternehmen, das sich rasch gegen die in- und ausländische Konkurrenz durchzusetzen vermochte, erfuhr im Jahre 1903 durch die Verlegung auf ein erweitertes Fabrikgelände bei Köln-Bickendorf einen erneuten, wachstumsorientierten Standortwechsel. So konnte sich die 1922 in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Firma unter der Leitung von Arthur und Franz Herbig zu einer der größten Lackfabriken des europäischen Kontinents entwickeln.

Die "Leidenschaft für feine Lacke" und das Interesse für den geschichtlichen Hintergrund des industriell angefertigten Produkts mögen den Anstoß gegeben haben, daß schon Adolf Herbig, der "als einer der besten Kenner der damals hochgeschätzten Japan-Lacke galt", im vergangenen Jahrhundert einzelne Objekte der Lackkunst erwarb. Offenbar handelte es sich dabei nicht nur um deutsche Stücke aus der Zeit der Gründung und der Aufbaujahre der eigenen Lackfabrik, sondern auch um Beispiele ostasiatischer Herkunft, die nach dem Neubau der Hauptverwaltung 1937 im Sitzungszimmer Aufstellung fanden. Dieser dergestalt ausgestattete Besprechungsraum darf als Keimzelle des späteren Museums bezeichnet werden.

Zu dieser Zeit war der eigentliche Initiator und Förderer der Sammlung, Dr. Erich Zschocke, bereits seit einem Jahrzehnt Mitarbeiter des Unternehmens (Abb. 2). Am 10. Mai 1901 in Solingen geboren, verbrachte Zschocke schon seine Schulzeit in Köln. Der Freundschaft mit seinem damaligen Schulkameraden Hans Herbig (1907-1955) war nicht nur lebenslange Dauer beschieden, sie führte um 1926/27 auch zum Eintritt Zschockes in die Herbig-Haarhaus AG, für die er zunächst als Leiter der Werbeabteilung tätig war. Daß in Erich Zschocke unabhängig von seinen ökonomischen Fähigkeiten von Jugend an auch die Neigung zum Künstlerischen angelegt war, verdeutlicht schon der Vermerk in seinem Abiturzeugnis: "Verläßt die Schule, um Maler zu werden". Auch der Abschluß seines Betriebswirtschaftsstudiums mit einer Dissertation über das Thema "Muß Reklame künstlerisch sein, um zu wirken?" offenbart diese Ausrichtung seines Wesens. Im privaten Bereich manifestierte sie sich in einer jahrzehntelangen Sammeltätigkeit auf dem Gebiet deutscher Fayencen des 18. Jahrhunderts und des frühen Meißner Porzellans. Kenntnisreich und engagiert, zählte er 1951 nicht zufällig zu den Gründungsmitgliedern der Gesellschaft der Keramikfreunde in Köln. Zschockes Liebe zur Kunst und der innerbetriebliche Spielraum, den ihm die persönliche Beziehung zur Familie Herbig eröffnete, erwiesen sich in den Aufbaujahren der Sammlung als denkbar glückliche Fügung.

Auf der Suche nach geeigneten Ergänzungen für seine eigene, überaus anspruchsvoll angelegte Kollektion durchstreifte Zschocke den Kölner Kunsthandel, und nicht zuletzt boten seine Dienstreisen willkommene Gelegenheit zu entsprechenden Ausflügen. Stets war sein Augenmerk dabei auch auf die Arrondierung der firmeneigenen Sammlung gerichtet. Ohne die Ankäufe der Vorkriegsjahre im einzelnen nachweisen und dokumentieren zu können, muß der Bestand schon in den dreißiger Jahren beträchtlichen Zuwachs erfahren haben. Dies gilt dann vor allem für die Jahre 1940 bis 1942, über die wir durch erste Inventareinträge genauer unterrichtet sind. Die gute Ertragslage wirkte sich unmittelbar auf die Sammlung aus, die zu diesem Zeitpunkt längst über eine bloße Anhäufung heimischer Lackprodukte des 19. Jahrhunderts gleichsam als Dokumentation parallel zur Unternehmensgeschichte hinausgewachsen war.

Japanische Lackarbeiten des 16. bis 19. Jahrhunderts, darunter ein kôbako mit Perlmuttereinlagen aus der späten Muromachi-Zeit (1334-1567) (Abb. 3), wurden überwiegend bei Köntges und Lempertz in Köln erworben. Geschäftliche Beziehungen nach Frankreich und Belgien ließen seit 1941 auch den Pariser und Brüsseler Kunstmarkt näherrücken. Unter den dort gekauften Stücken verzeichnet das Inventar die ersten Beispiele chinesischen Schnitzlacks sowie französischer Lackbijouterien des 18. Jahrhunderts (Abb. 4). So wurde im Juni 1941 bei Charles Meylemans in Brüssel neben einer Reihe schöner Ch'ien-lung-Lacke mit der kleinen Rotlackvase aus der Zeit des Kaisers Yung-lo das bislang bedeutendste Werk chinesischer Schnitzlackkunst in der Sammlung erworben. Nur einen Monat später konnte sie um den frühen Schnitzlackteller mit einer Darstellung des Chou Tun-i am Lotosteich (Abb. 5) sowie um eine chinesische Kuan-yin-Plastik in Goldlackfassung aus dem 17. Jahrhundert bereichert werden.

Zählt das Inventar im Jahre 1941 157 hinzuerworbene Einzelstücke, waren die Neuerwerbungen des Jahres 1942 auf nur noch 25 Objekte beschränkt, darunter als wichtigstes, wiederum bei Meylemans in Brüssel erstandenes Stück eine blütenförmig geschweifte, mit reichen Perlmuttereinlagen verzierte chinesische Dose der mittleren Ming-Dynastie (1368-1644) (Abb. 6). Mit dem Jahr 1943 war weiteren Ankäufen ein jähes, wenn auch nur vorläufiges Ende beschieden. Die auf Köln niedergehenden Bombenangriffe erforderten 1943 die Auslagerung der Sammlungsbestände, von denen Teile in die Eifel und ins Siegerland, Teile in ein von Zschocke angemietetes Haus bei Garmisch verbracht wurden. Gleichwohl blieb eine unbekannte Anzahl holländischer und englischer Möbel mit frühem Chinoiserie-Dekor auf dem Werksgelände zurück und fiel 1944 zugleich mit den Fabrikanlagen der vollständigen Vernichtung anheim.

Nach Wiederaufnahme der Produktion bereits 1946 und umsichtiger Rückführung der ausgelagerten und unversehrt gebliebenen Sammlungsbestände wird schon im März 1948 mit einer Stobwasser-Dose die erste Nachkriegserwerbung verzeichnet. Nur wenige Jahre später, im August 1955, wurde die Sammlung auf Betreiben Zschockes neu aufgestellt und als Herbig-Haarhaus Lackmuseum im großen Lichtsaal des Hauptverwaltungsgebäudes interessierten Besuchern zugänglich gemacht. Der frühe Tod Hans Herbigs im selben Jahr führte zu einer Umstrukturierung der Unternehmensleitung, der Erich Zschocke - nunmehr zuständig für den Vertrieb - seit 1957 als eines von drei Vorstandsmitgliedern angehörte.

Auch über das bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1967 verbleibende Jahrzehnt hinaus bestimmte Zschocke Umfang und Qualität des Zuwachses, der sich unter seiner Ägide nicht nur aus der ostasiatischen und europäischen Kunst (Abb. 7), sondern - vereinzelt - auch aus dem islamischen Kulturkreis sowie den süd- und südostasiatischen Ländern rekrutierte. Selbst Beispiele präkolumbianischer und frühkolonialer Holzgefäße aus Peru mit polychromen Lackinkrustationen fanden als Belege der weltweiten Verbreitung von Lacktechniken Berücksichtigung. Spürsinn und ein durch seine langjährige Sammeltätigkeit geschultes, sicheres ästhetisches Urteil erwiesen sich als Garanten für ein überwiegend beständig hohes Niveau. Lempertz und Langeloh in Köln, Hauswedell in Hamburg, Beer in Brüssel, Motamed in Frankfurt, Fischer-Böhler in München und Oesterle in Stuttgart sind die in den fünfziger und sechziger Jahren wiederholt genannten Bezugsquellen. Einzelne Stücke, wie eine Yang Mao signierte Guri-Lackdose (Abb. 8), konnten aus dem Besitz von Jean-Pierre Dubosc (1904-1988), Lugano, andere, wie ein koreanischer Kleiderkasten des 17. Jahrhunderts und ein Album mit Lackbildern von Zeshin, 1960 mit Hilfe Werner Speisers im Hongkonger und Tokioter Kunsthandel erworben werden.

Der enge fachliche Austausch und die freundschaftliche Verbundenheit, die Zschocke vor allem mit Erich Köllmann (1906-1986), dem Direktor des Kölner Kunstgewerbemuseums, Walter Holzhausen (1896-1968), dem Direktor des Städtischen Kunstmuseums Bonn, und mit Werner Speiser (1908-1965), dem Leiter des 1941 an der Universität Köln eingerichteten Seminars für Ostasiatische Kunst, pflegte, wirkten sich nicht nur auf die Sammeltätigkeit äußerst befruchtend aus. Ihren wissenschaftlichen Niederschlag fanden sie in der von Zschocke initiierten und von der Herbig-Haarhaus AG ermöglichten Herausgabe zweier Standardwerke zur Lackkunst: Walter Holzhausens 1958 erschienener Monographie Lackkunst in Europa, der ersten diesem Thema gewidmeten Übersichtsdarstellung, und dem 1965 postum veröffentlichten Buch Lackkunst in Ostasien von Werner Speiser. Beide Werke, deren Entstehung ohne das reiche Anschauungsmaterial der Herbig-Haarhaus-Sammlung kaum möglich gewesen wäre und in denen sich viele Sammlungsobjekte erstmalig veröffentlicht finden, sind noch heute unerläßlich zum Studium der Lackkunst. Kleinere Beiträge zu Einzelaspekten, wie die noch vor den Zerstörungen des Krieges von Kurt Röder verfaßte Studie Das indianische Lackkabinett des Kurfürsten Clemens August in Schloss Brühl, das 1953 erschienene Heft von Holzhausen Das kurfürstlich Bayerische Münzkabinett und die 1961 von Erich Köllmann anonym verfaßte Broschüre Laque und porcellaine ... , gab das Unternehmen aus besonderem Anlaß oder als Jahresgaben für seine Kundschaft heraus. Darüber hinaus widmete sich die von der Herbig-Haarhaus AG herausgegebene Fachzeitschrift Farbe und Lack wiederholt Themen der Lackkunst.

Der 1963 erfolgte Umzug der Sammlung innerhalb des Bickendorfer Firmengeländes und ihre Neupräsentation in einem eigens eingerichteten größeren Ausstellungsraum fanden bereits unter Mitwirkung von Edith Sträßer statt, einer Schülerin Werner Speisers, die Zschocke 1960 für die kunsthistorische Betreuung des mittlerweile auf mehrere hundert Objekte angewachsenen Sammlungsbestandes eingestellt hatte. Dem unter seiner unmittelbaren Einwirkung gereiften musealen Charakter und Rang der Sammlung trug er damit auch im Hinblick auf ihre personelle Ausstattung Rechnung. Umsichtig und vorausschauend hat er, dem die Sammlung nicht zuletzt ein persönliches Refugium war, die Grundlagen für die nachfolgenden Jahrzehnte gelegt. Erich Zschocke starb am 11. März 1978 in Köln. In seinem Nachruf wußte Erich Köllmann vor allem Zschockes Verdienste um die Lackkunst zu würdigen: "Ein Werk, das ganz seinem Geiste entsprang, macht jedoch sein Wissen und seine Tatkraft sichtbar. Das Lackmuseum der Firma Herbig-Haarhaus, zu dem es keine vergleichbare Sammlung in Europa, vielleicht sogar auf der Welt gibt, ist nicht nur eine Dokumentation der Geschichte der Lackkunst Ostasiens und der des europäischen 18. Jahrhunderts, es ist auch gleichzeitig eine Manifestation des Kunstsinns und Qualitätsgefühls, die auch die Dinge, mit denen Erich Zschocke sich selbst umgab, kennzeichnen."

Mit der 1968 erfolgten Akquisition der Herbig-Haarhaus AG durch die BASF AG ging auch das Firmenmuseum in den Besitz des neuen Eigentümers über, zunächst weiterhin unter dem übernommenen Namen Herbig-Haarhaus Lackmuseum (der Herbol GmbH Köln). Seit der Umbenennung der 1972 durch Fusion mehrerer Unternehmen gegründeten Tochtergesellschaft BASF Farben + Fasern AG im Jahre 1985 wurde die Sammlung unter der Bezeichnung Lackmuseum der BASF Lacke + Farben AG geführt. Der Sitz der Gesellschaft im westfälischen Münster sollte späterhin bei der Wahl ihres neuen Domizils ausschlaggebend sein.

Unter der Leitung von Edith Sträßer, die 1972 einen ersten Kurzführer durch die Sammlung verfaßte, wurde der Bestand durch gezielte Erwerbungen systematisch ergänzt. Hervorzuheben ist insbesondere eine Reihe islamischer Lackarbeiten persischer, türkischer und nordindischer Provenienz, darunter der 1981 erstandene Spiegelkasten mit Signatur des Mogul-Miniaturisten Manohar (Abb. 9). Erst diese Ankäufe arrondierten den übernommenen Herbig-Haarhaus-Bestand zu einer repräsentativen Gruppe. Daneben schlossen Einzelerwerbungen im ostasiatischen Bereich - wie der 1977 hinzugekommene koreanische Kabinettschrank mit reichen Einlagen aus Haifischhaut, die 1981 akquirierte Negoro-Schale und die 1985 erstandene japanische Holzplastik eines sitzenden Mönchs - gravierende Lücken. Zugleich wußte Edith Sträßer der Inro-Kollektion mit Beispielen etwa von Shibata Zeshin (Abb. 10) und Koma Kyûhaku Glanzlichter aufzusetzen. Im europäischen Bereich verdienen vor allem ein Paar französische Kutschenpaneele mit figürlichen Chinoiserien in prachtvollen Aventurinlackbordüren (Abb. 11) und als ihr letzter, 1990/91 geglückter Ankauf eine Anfang des 18. Jahrhunderts entstandene englische Standuhr mit Chinoiseriedekor auf weißem Lackgrund hervorgehoben zu werden. Den Höhepunkt ihrer dreißigjährigen Tätigkeit für das Museum markierte aber 1982 die von ihr initiierte Erwerbung einer vollständigen, nahezu vierhundert Objekte umfassenden Sammlung, der weltweit einzigen, die sich dem gleichen Spezialgebiet in ähnlich breiter Streuung verschrieben hatte: die Sammlung Herberts in Wuppertal.

Kurt Herberts wurde am 17. Februar 1901 in Barmen (Wuppertal) geboren (Abb. 12). Nach dem Studium der Chemie an der Technischen Hochschule in Stuttgart und der Promotion 1923 gründete er zunächst eine eigene Firma. In den dreißiger Jahren übernahm er die väterliche Lackfabrik, die unter seiner innovationsorientierten Leitung zu einem führenden Unternehmen der Branche aufrückte. In die späten dreißiger Jahre gehen auch die Anfänge seiner Sammeltätigkeit zurück.

Herberts scharte in den Jahren 1937 bis 1944 eine Gruppe als entartet verfemter Künstler um sich, die er in seinem Unternehmen vor allem mit Werbeentwürfen und der künstlerischen Gestaltung von Neubauten beschäftigte - unter ihnen Willi Baumeister (1889-1955) und Oskar Schlemmer (1888-1943). Schlemmer konzipierte in den von November 1940 bis August 1942 in Wuppertal verbrachten Jahren aber nicht nur die Ausgestaltung des Fabriklabors und das berühmte Lackkabinett, seine Aufgaben umfaßten auch die Einrichtung eines "Lacktechnikums" zur Erforschung der Eigengesetzlichkeiten und Möglichkeiten des industriellen Lacks im Hinblick auf seine künstlerische Anwendbarkeit. Seine praktischen Versuche schlossen Experimente mit ostasiatischen Lacktechniken ein, wie z.B. dem Eierschalenlack und anderen Einlegeverfahren. So gehören zu den im Krieg zerstörten angewandten Arbeiten Schlemmers und Baumeisters nach dem Vorbild des tsugaru-nuri und des negoro-nuri verzierte Lackschatullen. Beide Künstler bestätigten den jungen, an philosophischen Fragen ebenso wie an künstlerischen Phänomenen interessierten Unternehmer in seinem Vorhaben, eine Studiensammlung zur Malstoffkunde aufzubauen, die die Erforschung von Materialien und Anwendungstechniken der Oberflächengestaltung auf breitester Ebene ermöglichen sollte. Sie beinhaltete nicht nur eine Kollektion verschiedenster Materialien, wie z.B. von Bernstein und Kopalen, ein Tausende von Beispielen erfassendes Photoarchiv, sondern auch Muster jeder nur auffindbaren Anwendung dieser Rohstoffe, und zwar von prähistorischer Zeit bis in die Gegenwart reichend. Diese enzyklopädisch breit angelegte Sammlung, die auf unsystematisch zusammengetragene und teilweise ererbte Einzelstücke aus Familienbesitz zurückgreifen konnte, wurde - begünstigt durch die gute Ertragslage - in den Jahren 1938 bis 1944 in großem Stil durch Erwerbungen u.a. bei Konietzko in Hamburg, Krenz in Leipzig und der Münchner Kunsthandelsgesellschaft, aber auch von Doubletten des Ostasiatischen Museums in Berlin aufgebaut. Mit diesen durch die Veröffentlichung einer Schriftenreihe ergänzten Aktivitäten wollte Herberts "die Produktion der modernen Farbenindustrie in einen kulturhistorischen Zusammenhang rücken."

Die sich verschlechternde Kriegslage ließ eine Auslagerung der in jenen Jahren von der Kunsthistorikerin Renate Jacques verwalteten Sammlung geboten erscheinen. Schon in Kisten verpackt, wurden die für den Transport nach Sommerhausen am Main bereitgestellten Kunstgegenstände gleichwohl von Brandbomben getroffen und nahezu vollständig vernichtet. Das gleiche Schicksal traf ihre bisherige Heimstatt, das Haus auf dem Döppersberg in Wuppertal-Elberfeld, wo einzig die im Erdgeschoß untergebrachte Bibliothek den Krieg nahezu unversehrt überstand. Der glückliche Zufall wollte es, daß auch einige wenige Kisten und einzelne Objekte, die kurzfristig außer Haus gebracht worden waren, den Krieg überdauerten (Abb. 13). Dabei handelte es sich fast ausschließlich um ostasiatische Arbeiten.

Der verschonte Restbestand aus den Vorkriegs- und Kriegsjahren diente der neuen Sammlung, die Kurt Herberts ungeachtet der großen Verluste seit 1949 aufzubauen begann, nicht nur als Basis, er bestimmte auch die zunächst eingeschränkte Ausrichtung ausschließlich auf ostasiatische Lackkunst. Von Dezember 1952 bis Juli 1959 von Beatrix von Ragué betreut, wurde die Sammlung systematisch erweitert und in einem vorbildlich angelegten Inventar dokumentiert (Abb. 14). Die darin enthaltenen Expertisen stammten zu einem großen Teil von Werner Speiser, der der Sammlung auch bei Ankäufen beratend zur Seite stand. Engen Austausch pflegte Herberts überdies mit Otto Kümmel (1874-1952) in Berlin, während der Kontakt zu Fritz Löw-Beer (1906-1976) auf ein einziges Tauschgeschäft beschränkt blieb. Für einen Weinbecher der Ch'in-Dynastie (221-206 v. Chr.) trennte Herberts sich von einer frühen Ming-Rotlackdose, deren dicht geschnittener Drei-Freunde-Dekor Löw-Beers Begehrlichkeit geweckt hatte.

Schon in der Mitte der fünfziger Jahre kam im Zuge der intensiven Sammeltätigkeit die Idee zu einem Buch über ostasiatische Lackkunst auf, das - analog zum Sammelkonzept - nach Techniken aufgebaut sein sollte. Grundlage für dieses 1959 erschienene, bis heute unverzichtbare Standardwerk war neben einer ersten, von dem deutschen Diplomaten Artur Graf Strachwitz (1905-1996) angelegten Kartei zu japanischen Lacktechniken vor allem jahrelange Forschung der damaligen Sammlungsleiterin Beatrix von Ragué, die späterhin die Direktion des Museums für Ostasiatische Kunst in Berlin übernehmen sollte. Das um Daten und Quellen erweiterte Verzeichnis der Lackmeister wurde von Werner Speiser erstellt. Es ist vor allem dieses berühmte Buch der Ostasiatischen Lackkunst, "das erstmalig in der westlichen Welt Lackkunst als solche sichtbar und ihren handwerklichen Entstehungsprozeß begreifbar machte und gleichzeitig auch dem Nicht-Fachmann die Augen öffnete für den Werkstoff Lack."

Die Herberts-Sammlung, die in den sechziger und siebziger Jahren - nunmehr betreut von Eva Kneuse - vor allem um Beispiele der persischen und europäischen Lackkunst bereichert wurde, verblieb auch nach Veräußerung der Lackfabrik Dr. Kurt Herberts & Co. 1976 an die Hoechst AG im Privatbesitz von Kurt Herberts. Erst akute Raumnot erforderte 1982 die Trennung von seiner Sammlung, die er um den alten Herbig-Haarhaus-Bestand zu einem auf Lackkunst in all ihren Aspekten spezialisierten Museum sinnvoll vereinigt wußte, nachdem Teilbestände beider Sammlungen schon einmal - anläßlich der Hannover-Messe 1963 - in der Halle der Chemie zusammen ausgestellt waren. Ihre nunmehr geschlossene Neupräsentation in Münster hat Kurt Herberts, der am 20. November 1989 in Wuppertal verstarb, nicht mehr erlebt.

Die Struktur der Sammlung wird wesentlich geprägt nicht nur von der Vielfalt, der langen Geschichte und der ungewöhnlich weiten Verbreitung des Werkstoffes Lack, sondern auch von dem Qualitätsbewußtsein und den Zielsetzungen unterschiedlicher Sammlerpersönlichkeiten. Ihr über Jahrzehnte hinweg eingebrachtes Engagement und die Leistung bedeutender, der Sammlung freundschaftlich verbundener Kunsthistoriker, die ihr Wissen und ihre Kennerschaft dem Aufbau des Museums zugute kommen ließen, sind uns Vorbild und Ansporn zugleich.